Bischof Scheuer: Weihnachten ist ein Beziehungsfest
Im vergangenen September war ich in Syrien. Die Situation im Land hat mich sehr erschüttert: die Ruinen, das große Leid der Bevölkerung, die Perspektivlosigkeit angesichts der kriegerischen Zustände und auch der internationalen Sanktionen. Wir waren bei einem Abschlussfest eines Sommerlagers für die Kinder der Stadt Masskaneh. Für diese Kinder war das Sommerlager die einzige Möglichkeit für ein bisschen Abwechslung im tristen Alltag. Spielerische, sportliche und kreative Aktivitäten sollen den Kindern, die alle Schlimmes erlebt haben, Freude vermitteln. „Wir lieben das Leben“, haben uns die Begleiter der Kinder und der Jugendlichen mehrfach gesagt.
Kinder haben uns Erwachsenen oft etwas voraus. Sie erleben die Welt intuitiv. Sie können im Moment verweilen und sich ins Spiel vertiefen. „Kinder an die Macht“ – hat Herbert Grönemeyer gesungen und den kindlichen Zugang zur Wirklichkeit zum Ideal erhoben. Viele werden das auch bestätigen können: Im Advent und zu Weihnachten sind es gerade Kinder, die Erwachsene zur Krippe führen, die auf Jesus zeigen, die bei Erwachsenen etwas vom Staunen, von der Lebendigkeit, vom Vertrauen und vor allem auch vom Glauben wecken. Kinder führen uns ganz nahe heran an das Geschehen des Weihnachtsfestes, an die Geburt Jesu. Nicht wenige Erwachsene spüren in sich eine Sehnsucht, Weihnachten wie damals als Kind zu erleben. Vielleicht ist es diese enge Verbindung von Erwachsenen und Kindern zu Weihnachten, die uns gern sagen lässt: Weihnachten ist ein Familienfest. Und das mag auch stimmen.
Durch die Menschwerdung Jesu tritt Gott in eine einzigartige Beziehung zu uns Menschen.
© Giampaolo Mastro / www.pixabay.com CC 0 1.0
Weihnachten ist auch ein Beziehungsfest. Beziehungen werden gefestigt und erneuert. Jede Weihnachtsfeier, jedes familiäre Beisammensein am Heiligen Abend, jeder liebe Besuch, aber auch der gemeinsame Weihnachtsgottesdienst stärkt Beziehungen. Aus Sicht des Glaubens ist Weihnachten vor allem deswegen ein Beziehungsfest, weil Gott mit uns Menschen in eine einzigartige Beziehung tritt. In Jesus wurde Gott Mensch. Gott ist in Jesus und seiner Botschaft unmittelbar erfahrbar. Diese Beziehung kann man auch so ausdrücken: Gott kann die Menschen gut leiden. Er sympathisiert mit uns.
Von Weihnachten kann also viel an „Herz“, viel an „Sympathie“ ausgehen. Das wirkt heilend in Familien hinein. Es befördert aber auch die Solidarität in unserem Land. Wir Menschen müssen uns entfernen vom Prinzip der Rivalität. Wir brauchen eine neue Form der des Miteinanders, des gemeinsamen Denkens, Fühlens, Redens und Handelns kommen. So können wir Wachstum des Lebens ermöglichen. Zusammenarbeit und Zusammenhalt in jeder Form, gehören, wenn sie glücken, zu den besten Erfahrungen, die Menschen machen können.
Ich habe von vielen Seiten Dankbarkeit für unseren Besuch in Syrien wahrgenommen. Die Menschen spürten ein klein wenig, dass sie nicht vergessen sind, dass mit ihnen mitgefühlt, dass zusammengehalten wird. Das Weihnachtsfest möge Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, und allen Menschen die Erfahrungen von Zusammenhalt, von Sympathie und Angenommen-Sein schenken.
+ Manfred Scheuer
Bischof von Linz